Der Titel mag klingen wie ein Liebesroman mit Hang zur Dramatik – aber weit gefehlt. Ich habe dieses Buch an einem Nachmittag durchgelesen und mich so sehr in die Charaktere eingefühlt wie schon lange nicht mehr. Eine Robinsonade mit Tiefgang, die auch im Nachhinein noch Eindruck macht.

Eigentlich ist der 2017 erschienende Roman der französischen Autorin Isabelle Autissier komplett an mir vorbei gegangen. Erst auf Empfehlung meiner Mutter, die wiederum durch eine Radiosendung auf das Buch aufmerksam geworden ist, habe ich es schließlich ebenfalls zur Hand genommen. Mit dem Motiv des auf-einer-einsamen-Insel-gefangen-Seins habe ich mich seit einem in der Schule geschauten Robinson Crusoe Film nicht weiter beschäftigt und es erschien mir tatsächlich sogar ein bisschen ausgelutscht. Doch während die Handlung in „Herz auf Eis“ immer mehr voranschritt, erwischte ich mich dabei, wie ich die Story alles andere als vorhersehbar oder langweilig fand. Aber von vorn.

Der Inhalt

Auf 239 Seiten wird die Geschichte um ein Pariser Pärchen in seinen Dreißigern erzählt, das sich – frustriert und verbunden durch einen nahezu unstillbaren Durst nach Freiheit und Abenteuer – mit ihrem Schiff Jason auf eine halbe Weltreise begibt. Die Handlung beginnt, als sie sich bei schönem Wetter auf eine unter Naturschutz stehenden Insel wagen und ihre Erkundungstour auch dann nicht abbrechen, als das Wetter umschlägt.

Bei Sturm und Regen ist eine Rückkehr auf das sichere Schiff nahezu unmöglich. Sie verbringen die Nacht stattdessen provisorisch in einer verlassenen Walfangstation, scherzen sogar noch über den verwahrlosten Zustand ihres „Hotels“ und freuen sich auf das Frühstück an Bord. Am nächsten Morgen ist die Jason (wer hätte es gedacht) jedoch verschwunden – nur das kleine Beiboot hat sich am Ufer gehalten.

Ohne Essensvorräte oder Wechselkleidung geht es bei den beiden nun ums nackte Überleben. Sie jagen Pinguine, Robben und Vögel, denen sie später die Haut abziehen und einkochen, bzw zum Trocknen aufhängen. Erstellen Aufgabenpläne, um sich so viel Struktur wie möglich beizubehalten und müssen lernen, auch die einfachsten Dinge ohne Technik geschweige denn durch Hilfe von Außen zu meistern. Oft stellen sie sich frustriert die Frage: Wie kann es sein, dass sie sich trotz gutem Bildungsstand so schwer tun mit Tätigkeiten, die schon die Steinzeitmenschen vollbrachten?

Während die Wochen verstreichen und niemand dem Paar zur Hilfe kommt, wird die Existenzangst auch immer mehr zur sozialen Frage. Heftige Streitereien wechseln sich ab mit langen Perioden des Schweigens und intimen Nächten. Während sich die Situation immer weiter zuspitzt, kann der Leser praktisch dabei zu sehen, wie die Protagonisten abmagern und sich an eine Hoffnung klammern, die gleichzeitig mehr und mehr in die Ferne zu rücken scheint.

Wie reagiert der Mensch unter Selbsterhaltungstrieb? Ein Zitat dazu wird mir noch lange im Gedächtnis bleiben:

„Nächstenliebe ist etwas für die Wohlstandsgesellschaft.“

Herz auf Eis

Generell teilt sich der Roman in den ersten Teil „Dort“ und in den zweiten Teil „Hier“. Zum Letzteren kann ich natürlich nicht allzu viel sagen, ohne zu spoilern. In meinen Augen ist es im Vorhinein aber interessant zu wissen, dass sich die Handlung nicht gänzlich auf der Insel abspielt. Zumal sich die Grundstimmung ziemlich ändert und es nun nicht mehr ums Überleben sondern um den Umgang mit der eigenen Schuld geht.

Kritik

Wie zu Beginn schon angedeutet, hat mich der Roman total beeindruckt. Das liegt nicht unbedingt nur an der Geschichte mit teilweise krassen Wendungen, sondern vor allem an der Schreibweise der Autorin. So lebendig, so bildhaft. Ich würde mir zu diesem Buch keinen Film wünschen, denn ich hatte fast durchgehend klare Vorstellungen des Geschehens im Kopf. Beschreibungen der Situation oder der Umgebung lesen sich fließend eben weg, wobei es gleichzeitig keinen nervigen Überschuss an unnötigen Details gibt.

Zudem konnte ich als Leserin mich total gut mit den Charakteren identifizieren. Beide haben vor ihrer Reise ein Leben geführt wie du und ich – dementsprechend wird einem vor Augen gehalten, wie aufgeschmissen man wahrscheinlich selbst als Gestrandeter auf einer einsamen Insel wäre. Abgeschnitten von jeglicher Zivilisation und angewiesen auf ein zufällig vorbeifahrendes Schiff als einzige Rettungsmöglichkeit: Das ist ein Horrorscenario, welches einem während des Lesens nicht selten den ein oder anderen Schauer über den Rücken jagt.

Fazit

Isabelle Autissier ist es mit „Herz auf Eis“ gelungen, das etwas veraltete Motiv der Robinsonade modern aufzuarbeiten. Es geht nicht nur um den Überlebenskampf sondern regt zum Nachdenken an – über das gesellschaftliche Miteinander und die Frage, wann man die Liebe zu einer Person aufgibt, um sich selbst zu retten. Anhand konkreter Beispiele macht die Schriftstellerin aus La Rochelle klar, wie etwas so simples wie Tagebuch schreiben zur Herausforderung wird, wenn es am Nötigsten fehlt. Im Buch haben die Protagonisten hierfür übrigens Tinte aus Ruß und Fett verwendet und Papier als „Inbegriff des technischen Fortschritts“ betrachtet.

Ich kann dir diesen Roman nur wärmstens empfehlen und finde auch die Biografie der Autorin selbst beeindruckend. Als erste Frau überhaupt umrundete sie bei einer Segelregatta im Jahr 1991 die Welt und vertritt seit 2009 WWF als Präsidentin der Stiftung in Frankreich.

Herz auf Eiskostet im Taschenbuchformat 10 Euro und ist online, sowie vereinzelt in Buchfilialen erhältlich.

Wenn das Herz auf Eis liegt

Beitragsnavigation


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert